Zürichs Grundproblem

Seit 2010 haben sich die Bodenpreise in der Stadt Zürich mehr als vervierfacht. Und in den letzten drei Jahren stiegen sie deutlich stärker als zuvor. Warum uns das Sorgen machen sollte? Eine Einschätzung in der Kolumne der Mieten-Marta.

Seit die Wohnungskrise eines der medialen Lieblingsthemen geworden ist, überschlagen sich die Erklärungsversuche und Lösungsvorschläge: Man müsse einfach nur viel mehr bauen (naja). «Die Ausländer:innen» seien Schuld (really??). Es brauche vereinfachten Wohnungstausch und stärkere Belegungsvorschriften. Es brauche mehr gemeinnützigen Wohnraum. Es brauche eine schweizweite Mietzinskontrolle, damit keine illegal hohen Renditen mehr gemacht werden können. (Was jetzt übrigens systematisch passiert! Ein Skandal.)

Aber für Zürich gibt es da noch ein weiteres Problem, welches noch nicht angegangen wird:

Bildunterschrift: Stark steigende Bodenpreise seit 2008 (Impliziter Näherungswert) (Statistik Stadt Zürich)

Die Bodenpreise sind in der Stadt in den letzten Jahren explodiert. Sie haben sich ab 2010 innert acht Jahren , und seit 2018 nochmals verdoppelt. Besonders für Investor:innen mit viel Eigenkapital (z.B. global agierende Immobilienfonds, Versicherungen, Pensionskassen) ist das wenig problematisch, weil sie sowieso extrem viel Kapital anlegen müssen. Und unsere Mieten garantieren ihre Rendite. 

Für uns Mieter:innen ist dies aber umso problematischer. Je mehr Investor:innen für den Boden bezahlen, desto stärker erhöhen sie unsere Mieten – für ihre Rendite. Und die kürzlich angezogene Steigerung der Bodenpreise werden wir in unseren Mieten erst später spüren: Da eine «Entwicklung» eines Grundstücks stets ein paar Jahre dauert, also bis ein Haus totalsaniert oder ersatzneugebaut wurde, kommt diese Erhöhung noch auf uns zu. Wir bezahlen also schlussendlich für diesen Wahnsinn – solange wir überhaupt noch mithalten können, was für die meisten Leser:innen vermutlich nicht gilt.

Diese Entwicklung macht unsere Stadt kaputt. Sie führt zur Verdrängung von Menschen mit kleinerem Portemonnaie, und trifft ganz besonders Ausländer:innen, Alleinerziehende und deren Kinder (siehe diese aktuelle ETH-Studie). 

Was mich nun wundert: Warum gab es keinen öffentlichen oder medialen Aufschrei, als das stadtzürcher Amt für Statistik diese Bodenpreis-Entwicklung veröffentlichte? 

Was wir natürlich nicht wissen: Wie sich die Kurve weiter entwickelt. Im letzten Quartal ging sie wieder runter. Von einem Rückwärtstrend möchte ich an dieser Stelle aber wirklich noch nicht reden, denn die Kurve hat stets geschwankt. Und auch falls der letzte starke Anstieg eine Ausnahme gewesen sein soll, bleibt es dabei: Der allgemeine Trend geht deutlich nach oben und die bereits bezahlten Preise lassen sich ja nicht rückgängig machen. 

Der Blick auf die Zürcher Bodenpreise zeigt also, wie problematisch der Handel mit Grund und Boden ist: Zürich hat ein Grundproblem im wahrsten Sinn des Wortes. 

Ich würde deswegen auch gerne eine grundsätzliche Frage in den Raum stellen: Ist es eigentlich noch vertretbar, dass Boden auf diese Weise besessen werden darf? Und vielleicht nochmals zur Klärung: Es leuchtet mir ein, dass die Arbeit an Häusern (wie z.B. der Bau, die Verwaltung, die Gestaltung,…) bezahlt werden muss. Das passiert ja auch in jeder Genossenschaft mit der Kostenmiete. Aber Bodenpreissteigerungen sind für Eigentümer:innen sogenannte «leistungslose Gewinne» – sie haben dafür nichts getan. Im Gegenteil: Wir bauen mit öffentlichen Geldern Infrastruktur, Verkehrssysteme, Schulen, wir engagieren uns für soziale Angebote, Kultur, Kita-Plätze, wir lieben, streiten, erfinden, gebären Kinder, wir erzeugen zusammen diesen Lebenswert und diese demokratische Stabilität, welche Investor:innen dann in Geld verwandeln. Diesen kollektiv erschaffenen Wert schöpfen Investor:innen für private Gewinne ab. Wäre es für eine zukunftsfähige Stadt nicht vernünftig, wenn der Boden uns allen gehörte, und grundsätzlich nur im Baurecht abgegeben würde? Dass also für ehrliche Arbeit bezahlt wird, nicht aber für die Rendite auf parkierte Anlagen in eines unserer wertvollsten Güter – dem Boden unter unseren Füssen? 

Ich freue mich auf die Diskussionen mit euch. 

Eure Mieten-Marta


Mehr zum Thema Wohnungs- beziehungsweise Mietenkrise erfahrt ihr an unserer dringenden Ausstellung zu einem Recht auf Wohnen, ab 28. März in der Zentralwäscherei