“Ihr wollt enteignen? Spinnt’s euch?” 

“Enteignen” ist das Reizwort der Stunde. Es kommen schnell heftige und emotionale Reaktionen, wenn wir zum Beispiel die Enteignung der CS Immobilien fordern. Doch warum eigentlich? Denn eines ist klar: Wenn weiterhin so mit Boden spekuliert werden kann, wird sich nichts grundlegend an der Wohnungskrise ändern. Dann haben wir bald alle nichts mehr von unseren ach so ‘lebenswerten Städten’ und auch der Traum vom Eigenheim rückt in immer weitere Ferne. Darum heute exklusiv in der Mieten-Marta Kolumne: Symptome und Behandlungsmöglichkeiten der Enteignungs-Skepsis. Natürlich faktenbasiert und mit vernünftigen Argumenten, wie ihr das von mir kennt.

1. Tina Wohnegut

Diagnose: ÜBERTREIBERITIS

Symptome: Schnappatmung, kognitive Dissonanzen, gelegentlich kann auch eine Kieferstarre auftreten

Liebe Tina, 

aaalso. Erstens: Enteignungen von Boden werden bereits heute in der Bundesverfassung geregelt. Sie sind insbesondere für Infrastrukturen wie zum Beispiel Strassen, Eisenbahnen etc. vorgesehen. Aber warum gilt eigentlich Verkehr, Strom, Wasser als wichtige Infrastruktur, nicht aber Wohnraum? Würdest du in einem Fall von Strommangel auch sagen “Staat, mische dich nicht ein, das ist meine Privatsache”?

Darum finde ich, zweitens, die Petition www.cs-immobilien-enteignen.ch so spannend. Da kommt es nämlich auf eine wichtige Feinheit an: Sie fordert, die Immobilienfonds der ehemaligen Credit Suisse zu enteignen. Also jene Liegenschaften, welche die CS mit Geld von Anleger*innen verwaltete (wobei die CS übrigens 11.2% der Mietzahlungen als Managementgebühren abzweigte – zusätzlich zu den Kosten für die Liegenschaftsverwaltung!). Die Verträge mit den Anleger*innen können regulär innerhalb eines Monats aufgelöst werden und ihre Anlage bekommen sie zurück. Sie können mit ihrem Geld davonspazieren und dieses irgendwo anders anlegen. Es wird also niemandem Geld weggenommen und es verliert auch niemand ein Zuhause. Es wird nur die Möglichkeit genommen, noch weiterhin Profit mit diesen CS-Häusern einzustreichen. Das ist weder rechtswidrig noch ist es wahnsinnig radikal, sondern einfach nur vernünftig. Denn es hätte einen grossen Nutzen für unsere Gesellschaft: Zukünftig würden diese Häuser gemeinnützig verwaltet und in Kostenmiete vermietet, also zu massgeblich tieferen Mieten. Und es wäre ein starkes Zeichen für ein Ende der unsäglichen Boden-Spekulation.

Behandlung: Ich empfehle dir ein autogenes Atmungstraining mit der angeleiteten Visualisierungsübung “eine Bodenreform ist gut für mich, dich und alle” sowie ein Artikulationstraining fokussiert auf den hinteren Sprechapparat.

2. Frau Immobilien-Spekulatius

Diagnose: MARKTGLÄUBIGKEIT-ÜBERFUNKTION

Symptome: Golf-Ellenbogen und Tennis-Arm, Realitätsverlust mit desillusionierenden Anteilen, gelegentlich treten Läsionen in der Wirbelsäule auf 

Sehr geehrte Frau Immobilien-Spekulatius,

Sie haben ja schon oft betont, dass wir offensichtlich “den Immobilienmarkt” nicht verstehen. Und wissen Sie was? Das stimmt! Je tiefer wir in die Materie einblicken, desto weniger verstehen wir, was an diesem “Immobilienmarkt” sinnvoll, fair oder nachhaltig sein soll. Verstehen Sie es?

Wenn wir nämlich zusehen, wie unsere Lebensumfelder kaputt ”entwickelt” werden, wie unser Boden als leistungslose Gewinne in die Taschen von Privaten wandert, wie die Politik dem fast keinen Einhalt bieten vermag, wie wir als Familien und Normal- und Wenigverdienende und Ältere und überhaupt ganz viele Menschen sich nicht mehr in dieser Stadt halten können… – dann scheint uns eher, dass vielmehr SIE mal etwas verstehen (oder dazu stehen) müssen. Nämlich, dass “ihr Immobilienmarkt” illegal handelt, soziale Spaltungen erzeugt, und zuletzt das auffrisst, worauf Sie selber angewiesen sind für Ihre sicheren Investitionen: das ‘Leben’, das Engagement, Sorgearbeit, Beziehungen, Kultur, Demokratie. 

Insofern finden wir, dass gerade oben genannte CS-Petition viele Inkompetenzen auf positive Weise zusammenbringt: Nicht verstehen wollende Städter*innen fordern von nicht verstehenden Banker*innen eine Gegenleistung für eine unsägliche Bankenrettung (welche der neuen Megabank bereits Rekordgewinne bescherte!), um zu verhindern, dass weiterhin “der Immobilienmarkt” unsere Lebenswelten kaputtwirtschaftet. 

Wo Sie uns vielleicht sogar etwas abgewinnen können: Es geht bei den Enteignungsvorschlägen für Wohnraum (von Berlin über Hamburg bis zur CS-Idee) nicht darum, dass “der Staat” (dem Sie ja nicht viel zutrauen, ausser wenn er Ihnen die regelmässigen Geschenke beschert) die ganzen Immobilien bekommt. Nein, vorgeschlagen wird jeweils eine Vergesellschaftung, also eine langfristige Absicherung vor Spekulation, gerne auch in neuen Träger*innenschaften und mit lokalspezifischen Lösungen. 

Behandlung: Ihnen rate ich ein progressiv sich intensivierendes Mantra an (“Ich lebe zufrieden mit dem, was ich habe”), ein Sozialreifetraining in einem Gruppenkontext sowie eine rückenstärkende Triggerpunktbehandlung.

3. Ursina & Peter Wohin-Bloss

Diagnose: ALTERN IN ZUREICH

Symptome: Altersheimeintritt trotz bester Gesundheit, Depression nach Verlust der wichtigsten sozialen Beziehungen nach Umzug, Armut aufgrund steigender Mietzinse aber gleich bleibender Rente

Liebe Ursina, lieber Peter, 

Nein, eure Altersvorsorge wollen wir euch nicht wegnehmen! Im Gegenteil, beim Thema Wohnungskrise denke ich häufig auch an Rentner*innen wie euch. Weil gerade ihr ja auch besonders stark unter der Situation leidet: Ihr habt das ganze Leben lang gearbeitet (Peter als Schneider, Ursina als Hausfrau) und könnt euch jetzt doch hier keine Wohnung mehr leisten. Peter hat eine bescheidene Pension, Ursina hat keine eigene Pensionskasse (wie übrigens ein Drittel aller Frauen). Ihr habt nun die Kündigung erhalten und habt die Wahl zwischen einem frühzeitigen Einzug ins Altersheim oder sonst müsst ihr wohl aus der Stadt wegziehen, wie ihr sagt. 

Dieses Gerede von “wir brauchen die Immobilienspekulation wegen der Altersvorsorge” macht mich darum richtig hässig. Sollen Pensionskassen wirklich in Immobilien investieren? Das bedeutet ja eigentlich: Grossverdienende, welche häufig in ihrem Wohneigentum sitzen, bekommen ihre dicke Rente auf dem Buckeln von wenigverdienenden Mieter*innen. Letztere werden damit grad doppelt bestraft: Sie können sich ihre Wohnungen nicht mehr leisten und erhalten trotzdem nur eine gleich tief bleibende Rente. Bestes Beispiel dafür ist übrigens die CS-Siedlung in der Küngenmatt: wirbleibenimheuried.ch. Wo ist da die Fairness, bitteschön? 

Die beste Altersvorsorge für uns alle wären tiefe Fixkosten, also tiefe Mieten. Und wer weiss, vielleicht auch endlich mal eine fair verteilte Altersvorsorge.

Behandlung: Die negativen Symptome des Befundes “Altern in Zureich” können leider nicht mit medizinischen Mitteln behandelt werden. Es sind dafür weitgehende politische Lösungen vonnöten. 

PS. zur Transparenz: Ich bin Teil des Bündnisses, welches die Petition www.cs-immobilien-enteignen.ch lanciert hat. Das ist mittlerweile wohl klar. Trotzdem oder erst recht könnt ihr sie gerne unterstützen.

Solidarische Grüsse, 

eure Mieten-Marta