Es ist kein Zufall dass ich nicht Peter heisse. Ich heisse Marta, und nebst meinem Kampf für das Recht auf Wohnen bin ich auch Feministin! Also eigentlich nicht nebst sondern IN diesem Kampf – denn das eine hat mit dem anderen allerhand zu tun! Das alles versuche ich heute für euch zusammenzufassen.
Wo Quartiere aufgewertet werden, werden sie lebenswerter und sicherer. Das klingt ja erstmal gut, gerade auch für uns Martas, die in der Stadtplanung lange zu kurz kamen. Aber wer hat etwas davon? Die Antwort ist einfach: Diejenigen, die trotz Aufwertung noch wohnen bleiben können.
Auf den offensichtlichsten Zusammenhang zwischen Feminismus und Wohnungskrise kommt ihr vermutlich selbst: Da wir FLINTA-Personen weniger verdienen und weniger Rente bekommen, können wir uns die immer steigenden Mieten noch weniger leisten als der statistische Durchschnittsmann. Damit einher geht, dass wir eher aus unserem Zuhause und unserer Stadt verdrängt werden.
Wen trifft die Wohnungskrise am ärgsten?
Gerade kürzlich hat eine neue Studie der ETH endlich knallharte Zahlen geliefert für das, was wir aus unserer Erfahrung in der Stadt längst ahnen: besonders betroffen von Verdrängung sind Menschen mit tiefen Einkommen, ‘ausländische’ Bewohner:innen und Alleinerziehende.
Besonders betroffen sind also ausgerechnet diejenigen, die im Tieflohnsektor die Grundversorgung unserer Stadt sicherstellen, die unsere Häuser bauen, unsere Büros putzen oder unsere Kranken pflegen. Diejenigen, die ganz ganz viel Care Arbeit leisten – und das auch weiterhin tun (weil deine Care Arbeit will die Stadt ja behalten, auch wenn sie dich als Bewohner:in nicht mehr will.). Sie übernehmen insbesondere auch die Care Arbeit, die andere auslagern müssen, um Vollzeit arbeiten und sich die teure Wohnungen leisten zu können. Ein Teufelskreis.
Wenn wir das ganze intersektional betrachten, ist der Zugang zu bezahlbarem Wohnraum nochmal schwieriger für diejenigen, die sowieso schon mehrfach diskriminiert werden – denn beispielsweise rassistische Vermietungspraktiken sind leider keine Seltenheit. (siehe auch dazu die ETH-Studie)
Wer Kinder hat, hat’s doppelt schwer!
Ich selbst habe ja keine Kinder. Und ich bin froh darüber wenn ich daran denke, wie viel mühsamer es mit Kindern ist, aus seinem Zuhause verdrängt zu werden: Betreuungspersonen verlieren ihre Support-Strukturen, ihre KITA-Plätze, ihre helfenden Nachbar:innen oder eventuell auch die Nähe zur Familie. All das muss neu gefunden und aufgebaut werden, vermutlich an einem Ort, wo das Angebot dafür dürftiger ist. Hinzu kommt: Alles, was ein Wohnungswechsel beinhaltet – von der Wohnungssuche bis zum neuen Ankommen, Einrichten und neue Nachbarschafts-Netzwerke aufbauen – ist klassische Care Arbeit. Also unbezahlter Mehraufwand für uns.
In Städten wäre es zudem einfacher, sich die Haushalt- und Familienarbeit gleichberechtigt oder gar in alternativen Familien- und Lebensentwürfen aufzuteilen: auch dies dank der kurzen Arbeits- und Care-Wege, der besseren Kinderbetreuungsangebote, der vielfältigen Wohnformen, der grundsätzlich sozialeren, progressiveren Politik,…
Alleinerziehende sind wie erwähnt besonders drastisch von der Wohnungskrise betroffen, und alleinerziehend sind statistisch mehrheitlich ‘Mütter’. Hand auf’s Herz, das hätten wir auch ohne Statistik gewusst. Sollten wir also aus purer Wohnungsnot in einer Beziehung bleiben? Was absurd klingt, ist leider manchmal Realität. Die Leiterin eines Frauenhauses erzählte kürzlich dem Chefredaktor dieser Zeitung: Viele Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, kehren nach dem Aufenthalt im Frauenhaus wieder in den gewaltvollen Haushalt zurück, weil sie keine Wohnung finden.
Und wenn ich dann mal alt bin?
Noch bin ich nicht alt, also zumindest noch nicht alt genug, um mich um meine Rente zu sorgen. Sollte ich aber! Denn auch da werden wir verarscht. Häufig haben pensionierte ‘Frauen’ (ich verwende hier die Kategorie der Statistiken) eine viel geringere Altersvorsorge und zu einem Drittel keine eigene Pensionskasse. Sie können sich die teurer werdenden Wohnungen also nicht mehr leisten und werden verdrängt.
Das mit der Altersvorsorge ist besonders perfid, weil sie ja auch mitverantwortlich ist für die steigenden Mietzinse und die Gentrifizierung. Pensionskassen investieren im grossen Stil in Immobilien und sind auf Renditen angewiesen. Bloss sind es oft nicht dieselben Menschen, diejeingen, die von den Pensionskassen profitieren und diejenigen, die von den Pensionskassen verdrängt werden. Am meisten profitieren ehemals gut verdienende Männer, die im Wohneigentum leben. Sie sind gleichzeitig am wenigsten von der Wohnungskrise betroffen. Also eigentlich gar nicht.
Viele betroffene Rentner:innen ziehen nach Leerkündigungen aus der Stadt oder zumindest aus ihrem Quartier weg und verlieren somit ihre sozialen Sorgenetzwerke. Wenn dann noch der:die Lebenspartner:in stirbt, führt dieser Weg oft in die Einsamkeit – und Einsamkeit macht krank. Immer mehr ältere Menschen ziehen, weil sie keine Wohnung mehr finden, verfrüht ins Altersheim (wie das M+W berichtete). Die deutlich höheren Wohnkosten trägt dann oft die Allgemeinheit. Wenn das Zuhause nicht mehr sicher ist, überfordert uns das alle, aber mir scheint, am meisten überfordert es ältere Menschen. Eine Seniorin, der gekündigt wurde, meinte einmal zu mir: Ich hoffe, ich sterbe noch bevor ich hier ausziehen muss. Es hat mir das Herz gebrochen.
Lasst uns streiken!
Sorry für die vielen schlechten Nachrichten! Was also tun? Unterstützen wir uns gegenseitig! Bauen wir in unserer Nachbar:innenschaft solidarische Strukturen mit auf, um Betroffene im Widerstand zu unterstützen. Supporten wir bei Abstimmungen und Wahlen diejenigen Vorstösse und Politiker:innen, die sich für uns Mieter:innen einsetzen – wenn wir dürfen. Und streiken wir am Mittwoch!
Ja achtung, zum Schluss packe ich doch noch die grossen Wörter aus: Lasst uns streiken gegen das Patriarchat, welches sich durch unseren Lebensalltag zieht in all seinen Facetten und bis hin zur Wohnungsfrage. Und gegen die Tatsache, dass die Rendite unsere Städte regiert. Wir müssen die Dinge beim Namen nennen: Das kapitalistische System, in dem wir leben, funktioniert nur, weil es auf ausbeuterischen Strukturen basiert: Dank sehr viel un- oder unterbezahlter Sorge-Arbeit von vielen können wenige ganz viel Gewinn generieren und diesen dann beispielsweise in Immobilien investieren. Durch die Aufwertung dieser Immobilien werden dann ausgerechnet diejenigen verdrängt, die diese Sorge-Arbeit leisten, auf der alles basiert. Das ist kein nachhaltiger Zustand. Das müssen wir ändern. Sehen wir uns am Mittwoch auf der Strasse?
PS: Falls du dich mehr mit feministischem Urbanismus beschäftigen willst, hier ein paar Empfehlungen:
- »» Unterschreibe die Streik-Forderungen des feministisch-urbanistischen Zusammenschlusses aus Lares, frau + sia, Créatrices, Urban Equipe & Co. >> www.f-u-a.ch
- »» Lies den Artikel «It’s the Care Work, Stupid!»
- »» Hol dir in der Paranoia City Buchhandlung die Bücher «feminist city» von Leslie Kern, «Invisible Women» von Caroline Criado Perez oder «das Patriarchat der Dinge» von Rebekka Endler – oder den alten Klassiker «The Death and Life of Great American Cities» von Jane Jacobs.
- »» Hör den Podcast zu Feministischer Stadtplanung mit Janna Aljets
- »» Lies das Buch «Care-Arbeit räumlich denken» von Barbara Zibell oder das Interview, welches das P.S. kürzlich mit ihr geführt hat: Care-Arbeit in’s Zentrum stellen!