Das kantonale Amt für Wirtschaft und Arbeit, kurz AWA, hat eine neue Studie veröffentlicht, die zwar deutliche Zahlen zur Wohnungskrise liefert, deren Bedeutung aber eher klein redet und daraus ein allzu Immobilienwirtschafts-freundliches Fazit zieht, das nicht den Mieter*innen dient. Ziel der Studie sei es, «die Situation am Zürcher Wohnungsmarkt zu erfassen und damit fundierte Grundlagen für politische Entscheide zu liefern». Wenn damit wirklich die Politik informiert werden soll, habe ich da noch ein paar Ergänzungen.
Die Mieten:
Gemäss der Analyse sind die Mieten in der Stadt Zürich seit 2005 stark angestiegen: plus 15 Prozent bei bestehenden Mietverträgen und satte 39 Prozent mehr bei Neumieten! Das klingt besorgniserregend. Diese Zahlen werden aber sowohl in der Studie als auch in gewissen Medien für Beschwichtigungen genutzt, von wegen: es ist ja nur bei den Neumieten schlimm, viele Langzeitmieter*innen bezahlen nach wie vor mega wenig.
Eine fatale Schlussfolgerung. Wenn wir von einer Wohnungskrise sprechen, meinen wir nie die Not derer mit den günstigen langjährigen Mietverträgen! Wir meinen die Not der Jungen, die nicht von Zuhause ausziehen können, der Menschen von ausserhalb, die zum arbeiten oder studieren nach Zürich kommen, der neu gegründeten Familien und Gemeinschaften, die kein Nest finden, der älteren Menschen, die in viel zu grossen Wohnungen ausharren, weil sie keine kleinere finden, der Menschen, die in gewaltvollen Beziehungen bleiben, weil sie keine Alternative finden, und die Not der vielen Menschen, die wegen Ersatzneubauprojekten ihre Wohnung verlassen müssen und dann auch gleich die Stadt. Für sie alle ist «plus 39 Prozent» die relevante Aussage der Studie. Das meinen wir mit Wohnungskrise!
Und nur so nebenbei: 15 Prozent Mieterhöhung bei Bestandsmieten in einer Zeit, in der der Referenzzinssatz eigentlich fast stetig gesunken ist und die Mieten also eher hätten sinken müssen, ist auch sehr fragwürdig.
Die Einkommen:
Der Kanton schreibt: «Im Verhältnis zu den Einkommen ist der Anteil, der für die Mieten budgetiert wird, über alle Einkommensklassen hinweg konstant geblieben (rund 22 Prozent des Haushaltsbudgets).»
Die Einkommen seien seit 2005 gleich geblieben oder gar noch stärker gewachsen als die Mieten. Also ist alles gar nicht so schlimm?! Was mich bei dieser Argumentation irritiert: Analysiert wurden die Einkommen derer, die noch hier wohnen. Mit Erleichterung wird festgestellt, dass die Menschen, die in ihren Wohnungen wohnen, sich ihre Wohnung mit ihrem Einkommen ja leisten können. Ja klar können sie das! Dafür brauchen wir keine Statistik.
Wer sich seine Wohnung nicht mehr leisten kann, zieht nämlich aus oder wird gekündigt und findet dann keine neue mehr. Es wird also immer so sein, dass die Einkommen derer, die noch hier wohnen, ungefähr so hoch sind, dass sie sich die Miete leisten können. Die anderen sind nämlich nicht mehr hier.
Solange für die Haushalte mit den tiefsten Einkommen, die überhaupt noch erfasst werden, die Belastung der Mieten grenzwertig hoch ist (nämlich gemäss Studie 35 Prozent des Einkommens) können wir davon ausgehen, dass es Haushalte gab, für die diese Grenze überschritten wurde und die nun nicht mehr hier sind – und deshalb auch nicht mehr erfasst werden.
Die Gründe:
«Die Zuwanderung hat in den letzten Jahren an Gewicht als Treiber für die Wohnungsnachfrage verloren – während sie 2018 noch 61 Prozent ausmachte, liegt dieser Wert heute noch bei 45 Prozent», heisst es in der Studie.
Das ist erfreulich und nimmt dem SVP-Wahlkampfargument etwas Wind aus den Segeln. Einen Hinweis habe ich aber noch, an das Amt, aber auch an die Medien, die jetzt ihre Schlagzeilen formulieren: Was in der Studie als «Zuwanderung» bezeichnet wird, meint sowohl Migration aus dem Inland als auch aus dem Ausland. Mitgemeint ist also auch der SVP-Wähler, der wegen der Arbeit von der Innerschweiz nach Zürich zieht. Wenn das als Zuwanderung bezeichnet wird, fühlt er sich aber nicht mitgemeint, sondern reibt sich die Hände und verdreht das Argument für seine Polemik. In der Untersuchung und in den Schlagzeilen den Begriff «Zuziehende» zu verwenden, wäre also nicht nur präziser, sondern auch neutraler formuliert.
Aber so oder so und egal wie und woher die Bevölkerung wächst: Die Zuwanderung ist nicht schuld an der Wohnungskrise. Vielmehr ist die Ursache in ineffizienter Flächennutzung zu suchen, bei einer fehlgeleiteten Steuerpolitik oder bei den zu hohen Bodenpreisen, Mietpreisen und Renditen im Immobiliensektor – um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Die Lösung:
Laut des Kantons eine einfache Aufgabe: «Abhilfe schaffen würde eine Ausweitung der Bautätigkeit, etwa durch eine Verbesserung der regulatorischen Rahmenbedingungen sowie Anreize für die bauliche Verdichtung.»
Wir dürfen nicht vergessen, wer der Absender dieser Studie ist: Das kantonale Amt für Wirtschaft und Arbeit, mit FDP-Vorsteherin Carmen Walker Späh, die in der Medienmitteilung wie folgt zitiert wird: «Das beste Mittel für zusätzlichen Wohnungsbau ist es, wenn man aufhört, dem Markt die Lust am Investieren zu nehmen.» Die FDP vertritt die Interessen der Bauwirtschaft und Immobilienbesitzer*innen, nicht die Interessen der Mieter*innen.
Deshalb erstaunt es nicht, dass die Studie und die Amtsvorsteherin die Lösung des Problems darin sehen, den Markt zu deregulieren und Anreize für private Investor*innen zu schaffen. Ein bisschen absurd ist es allerdings schon, dass sie zum Schluss kommt, dass man einfach nur mehr bauen muss und damit alles gut wird, nachdem die Studie glasklar aufgezeigt hat, dass es ja genau die Neumieten sind, die so stark steigen, dass viele sie sich nicht mehr leisten können.
Merke: Bauen, bauen, bauen ist nicht per se die Lösung! Bauen ist nur dann die Lösung, wenn die Richtigen bauen – nicht Gewinnorientierte – am richtigen Ort – dort, wo die Menschen tatsächlich wohnen wollen/müssen – und auf die richtige Art – einerseits nicht so, dass vor dem Bau erstmal ganz viele Leute verdrängt werden, und andererseits so, dass nach dem Bau für viele Leute bezahlbarer Wohnraum entsteht: also dicht, nicht zu viel Wohnfläche pro Person, nicht zu luxuriös.