Stellt sich die Stadtzürcher SP grad selber ein Bein?

Die Marktmieten in Zürich explodieren. Wer die eigene Wohnung verliert, findet kaum mehr irgendetwas Bezahlbares. Und mitten in dieser Umwälzung redet die SP Stadt Zürich weiterhin nur vom Drittelsziel, während ihre Wähler*innenschaft aus der Stadt verdrängt wird. Ich finde, es ist Zeit, den Blick zu weiten: Was passiert eigentlich mit den Zweidritteln nicht gemeinnütziger Wohnungen?

Liebe SP Stadt Zürich,

lange war ich ja Fan von Ihrem Drittelsziel: Bis 2050 soll ein Drittel aller Mietwohnungen in Zürich gemeinnützig sein. «Juhui! Wird darunter vielleicht auch bald eine bezahlbare Wohnung für mich dabei sein?», fragte ich mich damals 2011 bei der Abstimmung. So wie ich haben wohl viele gedacht.

Mittlerweile habe ich aber gemerkt, ich kann mir keine Hoffnung machen, bald in eine Genossenschaft oder Stadtwohnung einzuziehen. Ich hatte noch nie Glück mit meinen Bewerbungen und anscheinend können auch nicht annähernd genügend neue gemeinnützige Wohnungen gebaut werden. Umso mehr erstaunte mich, wie Sie kürzlich (bei Kosmopolitics) auf dem Podium über das Drittelsziel sprachen, als ob das immer noch die einzig notwendige Lösung sei. Dabei frage ich mich:

Hat die SP Stadt Zürich eigentlich neben ihrem Drittelsziel noch einen Plan für den restlichen Zweidrittel? Oder bleibt die sozialdemokratische Stadt-Vision dabei stehen, einen Drittel der Wohnungen zu schützen, während sie den restlichen Teil dem ‹Markt› ausgeliefert?

Meine Frage ist egoistisch. Denn solange ich keine gemeinnützige Wohnung verwütsche, bleibe ich darauf angewiesen, dass sich meine ‹Marktmiete› nicht jenseits von Verstand und Anstand bewegt.

Aber meine Frage betrifft auch Ihre Existenz, liebe SP. Denn die letzten Zürcher Gemeinderat-Wahlen haben gezeigt: In den traditionellen SP-Quartieren legte die FDP auf Kosten der SP zu. Die FDP! Da kann mensch viel rätseln, aber eine Frage liegt auf der Hand: Hat die SP in den Wahlen 2022 Sitze verloren, weil sie es zugelassen hat, dass ihre Wähler*innen verdrängt wurden? So à la: Während Sie dem Drittelsziel nachgehen ohne ein Zweidrittelsziel mitzudenken, halten die Stammwähler*innen der FDP frischfröhlich in den ‹aufgewerteten› Stadtteilen Einzug. Und da wohnen diese dann so alleine in 2.5-Zimmer-Wohnungen für 5500.- CHF.

Das ist die neue Zürcher Realität.

Das können wir nicht akzeptieren, liebe SP Stadt Zürich. 4 Jahre bis zu den nächsten Wahlen bleiben, um glaubhafte Zweidrittelsziele zu entwickeln. Ein paar drängende Fragen, die mir dafür gerade einfallen:

  • Wie können wir als Mieter*innen geltendes Recht einfordern (also z.B. unseren Anfangsmietzins anfechten), wenn wir davor Angst haben, uns gegenüber den Eigentümer*innen und Verwaltungen zu exponieren?
  • Wie kann die Politik endlich ernsthaft stoppen, dass illegal hohe (und jährlich immer höhere) Renditen gemacht werden? Wann bekommen wir Einblick in die Renditerechnungen der Eigentümer*innen?
  • Welche politischen Visionen gibt es eigentlich für Massnahmen gegen explodierende Bodenpreise (welche dann ja unanständig hohe Mieten sogar legal machen)? Denkt ihr da an eine Plafonierung?

Und ja, ich höre immer wieder dasselbe Argument: Unsere (oder: Ihre?) Altersvorsorge hängt halt traurigerweise von den Immobilienrenditen ab. Abgesehen davon, dass ein Rentensystem nicht nachhaltig ist, das auf Ausbeutung von Grundbedürfnissen besteht: Das mit den Renten scheint mir auch ein bitzli ein Scheinargument. Weil eigentlich weiss ja niemand von uns, wessen Anlagegelder tatsächlich in dieser Stadt stecken… Von diesem Argument lassen wir uns frühestens dann beeindrucken, wenn das Grundbuch endlich öffentlich und komplizierte Besitzverhältnisse und Teilhabe-Konstrukte transparent sind. Denn erst dann wäre klar, für wieviele der überteuerten Mieten unsere Rentenversicherungen verantwortlich sind, und für wieviele auch die Gier privater Anleger, internationaler Immobilienfonds, elitärer Lebensversicherungen etc.

Es könnten eigentlich recht lustvolle, erfrischende linke Diskussionen werden.

Wir würden uns darauf freuen.

Herzlich,

Ihre Mieten-Marta

PS: Zum Glück trudelte ein paar Tage später noch ein Newsletter der SP Schweiz ein: Da soll einiges passieren.