Wir brauchen kein “Wohnerlebnis“ – wir brauchen ein bezahlbares Zuhause

Unter Immobilienentwickler*innen hat sich eine Mode breitgemacht: Luxus-sanierte Wohnhäuser sind nicht mehr einfach nur Wohnhäuser sondern ‘Projekte’, die zwecks Erstvermietung sogar einen eigenen Namen, eine eigene Marketingkampagne und eine eigene Website bekommen. Je unverschämter die Preise, desto eindrücklicher das Branding und Imagebuilding. Aber schaut selber.

“Wäre es nicht wunderbar, wenn sich Wohnen anfühlt wie der leichte Flug eines Schmetterlings?” Ich versuche mir das vorzustellen und bin mir nicht sicher, wie wunderbar das wäre. Aber so wird das “ideale Wohnambiente” im Neubauprojekt “Papillon” im Zürcher Kreis 3 angepriesen. Einfache, praktische Wohnungen waren gestern. Versprochen werden grosszügig geschnittene und lichtdurchflutete Räume, eleganten Wohnküchen, ein Bad wie eine “Wellnessoase im eigenen Zuhause” (siehe papillon-zuerich.ch).

Und wo die Wohnungen doch eher klein sind, wie zum Beispiel im Projekt “Luisa” im Kreis 5, nennt man das nun „kompakt“ oder sogar das „minimale Maximum“ (siehe luisa-zürich.ch). Mit dem Maximum, das ein Zürcher Architekturbüro herausgeholt hat, ist vermutlich vor allem ein Maximum an Rendite gemeint.

Bald fragt man sich, ob die skandinavische Möblierung inbegriffen ist. Kleiner Tipp an die Immo-Branche: Bei etwas tieferen Mietpreisen wird man seine Wohnungen imfall auch im Nu los, ohne dass man sie vorher möblieren und fotografieren muss! But you know that, don’t you.

Der Flug eines Schmetterlings im Kreis 3 / Screenshot von www.papillon-zuerich.ch
Das minimale Maximum im Kreis 5 / Screenshot von luisa-zürich.ch
Oder doch das absolute Maximum? / Screenshot von luisa-zürich.ch

Money money money – was soll hier eigentlich bezahlt werden?

In der “Luisa” kostet die 1,5 Zimmer Wohnung (also eigentlich einfach eine grosse Einzimmerwohnung) im Schnitt 1934 Franken pro Monat. Im Platz4-Projekt bezahlt man für eine 3,5 Zimmer Wohnung fast 6000 Franken pro Monat. Die Wohnungen im “Platz4” Projekt seien “für alle, die sich ein inspirierendes Zuhause in einer lebendigen Wohngegend wünschen.” Es müsste wohl eher heissen: Für alle, die es vermögen.

Wohnungsspiegel vom Projekt “Luisa” / Screenshot von luisa-zürich.ch
Wohnungsspiegel vom Projekt “Platz4” / Screenshot von platz4.ch

Es gilt die Regel, dass man nicht mehr als einen Drittel seines Einkommens für die Miete ausgeben sollte. Ihr könnt selber rechnen ob das was für euch wäre. Falls ja: Glückwunsch! Weil das hat vermutlich tatsächlich viel mit Glück zu tun.

Von einer reine Kostenmiete (wie man sie von gemeinnützigen Wohnungen kennt) sind diese Preise auf jeden Fall weit entfernt. Aber klar, man bezahlt ja nicht nur die Bauinvestitionen, sondern mit auch die klasse Marketingkampagne (schaut euch zum Beispiel das Video von atrio-zurich.ch an!), und einen kräftigen Bonus für die findigen Entwickler*innen und eine Dividende für die oft anonymen Investor*innen.

Video vom sich verändernden Sonnenlicht beim Projekt “Atrio” / Video der Website atrio-zurich.ch

Hilfe, unsere Stadt wird verkauft

Auf solchen Erstvermietungs-Websites wird nicht mit Superlativen und cringen Lagebeschreibungen gespart. Und vor allem wird deutlich, dass da Profit gemacht wird auf Kosten der Allgemeinheit, auf die aber nicht gross Rücksicht genommen wird.

Versprochen wird ein Leben “ohne wenn und aber mittendrin”. Der Kreis 4 wird als vielseitig, zentral und kultig beschrieben, als “placetobe”, der Kreis 5 wird als zentral und ruhig beschrieben. Gerade das Versprechen nach der Ruhe mittendrin zieht vermutlich Mieter*innen an, die sich, kaum eingezogen, über Lärm beschweren und damit dem lokalen Gewerbe das Leben schwer machen. Genau dem lokalen Gewerbe, von dem dieses Mittendrin-Gefühl aber hochgradig abhängt.

Die Ruhe im Kreis 5 / Screenshot von luisa-zürich.ch
ohne wenn und aber mittendrin / Screenshot von luisa-zürich.ch
Blick auf die Lettenbadi / Screenshot von luisa-zürich.ch
und nochmals ein Screenshot von luisa-zürich.ch

Auch abhängig ist dieses Mittendrin-Geschäftsmodell von den öffentlichen Investitionen in Verkehr, Kultur, Bildung, Infrastruktur und vieles mehr. Angepriesen wird die gute Lage des Projekts “Luisa” zum Beispiel mit Bildern von der Lettenbadi, vom Turbinenplatz, von der Josefswiese, vom Theater Schiffbau, vom Bahnhof Hardbrücke… “Pavillon” betont die Nähe zu Naherholungsgebieten und Mittelschulen. Das, was da für den privaten Profit verwertet wird, sind also unsere mit Steuergeldern bezahlten gemeinnützigen Güter. Fair – öffentliche Infrastruktur soll für alle, also auch für Gutverdienende da sein. Aber diese als Vermarktungsmittel einzusetzen, um die aktuelle Bevölkerung zu vertreiben? Geht gar nicht! Denn:

Die Absicht wird klar: Wir müssen gehen – und bis dahin sollen wir gefälligst als Statist*innen für “das heterogene Umfeld” dienen, das ihr gewinnbringend verkauft

Ihr profitiert offensichtlich von der “kulturell gewachsenen” Umgebung. Aber für diejenigen, die zu dieser kulturell gewachsenen Umgebung beigetragen haben, für die schlecht verdienenden Arbeiter*innen mit Migrationsgeschichte, die eurer Meinung nach wohl den angepriesenen “Multikulti-Lifestyle” (platz4.ch) ausmachen, sind eure Wohnungen nicht gedacht. In den meisten Fällen von Luxus-Totalsanierung wird diesen erst rücksichtslos gekündigt und sie werden dadurch aus dem Quartier verdrängt, damit ihr danach aus ihrem Erbe Kapital schlagen könnt. Auch für die “jungen Studenten, Künstler, Akademiker” die gemäss dem Platz4-Projekt das “beeindruckend heterogene Umfeld” ausmachen, sind diese Wohnungen nicht leistbar. Für wen sind also die Wohnungen gedacht? Werden diese besagten ‘Studenten, Künstler, Akademiker’ (nota bene nicht einmal gegendert) zu Statisten, die irgendwie ein gutes Gefühl des urbanen Rauschens sicherstellen sollen, in dem diese Umwälzungsprozesse sanft und leise murmelnd untergehen?

Die kulturell gewachsene Umgebung des Kreis 4? / Screenshot von platz4.ch
…oder doch lieber das heterogene Umfeld? / Screenshot von platz4.ch

Beabsichtigte Zielgruppe: (ziemlich) reiche Zuzüger*innen

Zielgruppe solcher Erstvermietungen sind zum Beispiel “anspruchsvolle Singles, Paare oder Familien” denen man das “traumhafte Naherholungsgebiet” schmackhaft macht (papillon-zuerich.ch). Oder Singles oder Paare, denen man erklärt, dass der Kreis 4 ein “einzigartiges Stadtviertel” ist (platz4.ch). Also tendenziell Menschen, die Zürich noch gar nicht kennen. Sie will man anlocken, wenn man Zürich als „Limmatstadt, Wirtschaftszentrum, Partymetropole, Kulturstadt, Wissensstandort und fantastischer Wohnort“ (luisa-zürich.ch) anpreist, oder? Denn wir, die hier bereits wohnen, arbeiten oder studieren, wir wissen das alles. Wir suchen bereits händeringend nach einer Wohnung in dieser Stadt – uns muss man nicht mehr überzeugen, weder mit blumiger Sprache noch mit extra fancy Websites für neue Wohnungen.

Werden hier also explizit Neuzuzüger*innen angesprochen, weil die Verkäufer*innen genau wissen, dass Zürcher*innen solche Preise nicht bezahlen würden – oder können? Wird vielleicht sogar bewusst auf die Naivität, die Not oder das fehlende Netzwerk der Neuzuzüger*innen gesetzt?

Ein inspirierendes Zuhause gewünscht? / Screenshot von platz4.ch
Oder doch lieber ein unvergessliches Wohnerlebnis? / Screenshot von luisa-zürich.ch

Und einfach damit es nochmals einfürallemal gesagt ist: Wir brauchen kein „unvergessliches Wohnerlebnis“ (luisa-zürich.ch) das sich anfühlt wie der Flug eines Schmetterlings – wir brauchen ein bezahlbares Zuhause. Dort wollen wir lieben, faulenzen, essen, streiten, furzen und tausend andere Dinge, die euch nix angehen – wir suchen einen Ort zum leben, nicht eine Dienstleistung zum konsumieren. Wenn ihr uns ein unvergessliches Wohnerlebnis verkaufen wollt, dann werden wir das Gefühl nicht los, dass ihr nicht auf der Suche nach Bewohner*innen seid, sondern nach Kund*innen.


Quellen der genannten Beispiele und weitere ähnliche Websites:

  • www.platz4.ch // Projekt: Ecke Müllerstrasse/Ankerstrasse, 8004 Zürich // Von: Egolf Immobilien, Wetzikon
  • https://luisa-zürich.ch // Projekt: Luisenstrasse, 8005 Zürich // Von Cavegn Immobilien GmbH, Zürich
  • www.papillon-zuerich.ch // Projekt: Haldenstrasse, 8003 Zürich // Von: Livit AG Real Estate Management, Zürich
  • www.steinhalde.ch // Projekt: Steinhaldestrasse/Waffenplatzstrasse, 8002 Zürich // Von: Livit AG Real Estate Management, Zürich
  • www.atrio-zurich.ch // Projekt: Buckhauserstrasse, 8048 Zürich // Von: Livit AG Real Estate Management, Zürich
  • www.allenblick.ch // Projekt: Hofwiesenstrasse, 8057 // Von: Markstein AG, Zürich // Eigentümerin: Asga Pensionskasse, St. Gallen
  • … und viele mehr. (Schickt uns gerne Tipps)

Es gibt übrigens Server/Software-Anbieter, die sich auf genau solche Erstvermietungs-Websites spezialisiert haben. So zum Beispiel die Schweizer ImmoServer AG, die gemäss eigenen Angaben bereits über 1000 solche Projektseiten realisiert hat.

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